Mittwoch, 7. Januar 2015

Jeder Tag ist Aschura, jeder Ort ist Kerbela

Hallihallo,

Auf dieses Buch bin ich wirklich rein zufällig gestoßen, als ich mal wieder hirnlos suchend durchs weltweite Netz gesurft bin. Ich weiß nicht einmal mehr, ob und was ich überhaupt gesucht habe, aber das spielt auch gar keine Rolle, weshalb ich hier nicht meinen gesamten Suchverlauf niederschreiben werde. Entscheidend ist eher, was ich damals gefunden habe und zwar ein überaus aufrührerisches Zitat aus einem ebenso unangepassten Buch. Mir war sofort klar, dass ich dieses Buch unbedingt lesen musste, hatte aber keinen blassen Schimmer, was mich überhaupt erwarten würde.


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Michael Muhammad Knight bezeichnete > Taqwacore< einmal als seine Rettungsleine, die seinen Glauben rettete. 1977 in New Jersey geboren wuchs Knight als Katholik auf, konvertierte, nachdem er als Teenager die Autobiographie vom Menschenrechtsaktivisten Malcom X gelesen hatte, zum Islam. Jung und unerfahren wie er damals war, wurde sein Glauben immer fanatischer, bis er mit 16 in den Djihad ziehen wollte. Erstmals beschlichen ihn ernsthafte Zweifel, was seine Auslegung des Korans betraf und er gab diesen Wunsch glücklicherweise auf. 
Auf der eigenen Suche nach seinem Islam, schrieb er 2003 das Manifest der Muslim Punks überall auf dem Globus und benannte es nach den Anhängern, der anfänglich kleinen aber stetig wachsende Gemeinde – > The Taqwacores<. 
Sein drastisches Werk war als sein eigener Abschied vom Islam gedacht, wobei Knight, wie er selbst sagt, dabei nie die Absicht hatte, diese Religion auszuhöhlen, er wolle nur ihn in seinem Leben möglich machen. Diese Kernessenz bildet das Gerüst für >Taqwacore< und aller Anhänger dieses Lebensgefühl, im Buch wie in der Realität.

Grün ist die anerkannte Farbe des Propheten und des Islams

Bevor auf das Buch >Taqwacore< eingegangen wird, muss zuvor noch der Begriff Taqwacore erläutert werden. Das Wort ist Neologismus, geschaffen aus dem arabischen Wort Taqwa, dass übersetzt als Gotteserfurcht zu verstehen ist und dem englischen Wort Hardcore. Taqwacore bezeichnet also ein Genre des Punk, der eng mit dem Islam verwunden ist, oder eben eine Kleingruppe des Islam, der eng mit dem Punk in Verbindung steht – das kann man sehen, wie man will. Der Begriff wurde im Übrigen von Michael Muhammad Knight geprägt, der als Erste für diese, seit den 90er bestehende Musikströmung einen Namen fand, mit dem sich heute die meisten Taqwacore – Bands, wie beispielsweise The Kominas, identifizieren können. Taqwacore bezeichnet aber mehr ein Lebens – und Glaubensgefühl, als schlicht eine Musikrichtung.

Für alle, die es wissen wollen - das ist übrigens das Cover :D
Nun aber zum Buch. Yusuf ist ein gläubiger Moslem und studiert in Buffalo, New York Ingenieurswissenschaften. Um dort auch richtig anzukommen, zieht er in eine WG von Muslimen ein und verkündet das seinen Eltern, die natürlich davon angetan sind, dass ihr Sohn bei Muslimen lebt und betet und seine Religion nicht durch ein Studentenwohnheim gestört werden kann. Ab diesem Telefonat überweisen Yusufs Eltern jeden Monat pünktlich die Miete. Was sie nicht wissen können, ist, dass diese WG, auf den ersten Blick, soviel mit dem Islam gemein hat, wie eine Pornodarstellerin mit einem Keuschheitsgürtel.


Da wäre zum einem Jehangir, ein Punk mit gelb gefärbten Iro, der sich gerne und viel betrinkt und von Yusuf als Hurenbock bezeichnet und als Bruder geliebt, gar verehrt wird. Er besuchte als Jugendlicher mit seinem Onkel die wichtigsten Wallfahrtsorte aller Religionen und berichtet mit liebevoller Euphorie von der Taqwacoreszene in Kalifornien.


Fasiq wiederum findet man meistens auf dem Dach des Hauses sowohl mit Koran als auch mit Joint in der Hand. Er ist ein Skater und schmückt sein Haupt mit 4-5 orangefarbenen Spitzen. Er arbeit sozusagen in der Pharmabranche und vertickt seinen Stoff an Junkies wie Ayyub, mit dem er sich regelmäßig um das bessere Sofa streitet, da für beide kein eigenes Zimmer in der WG zur Verfügung steht.


Amazing Ayyub ist wie schon berichtet ein Junkie, der am liebsten ohne Shirt rum läuft um sein Kerbala – Tattoo zu präsentieren. Er hat hin und wieder einen kleinen Job, wie an der Tankstelle, die er aber immer wieder verliert, weil er potenziellen Kunden schon mal ins Auto spuckt. Sein Lieblingssong scheint > Hey Little Rich Boy< von Sham 69 zu sein, da er immer, wenn Yusuf in der Nähe ist, diesen Song in voller Lautstärke aufdreht und den Refrain gröhlt.


Rabeya ist das einzige Mädchen in der WG und trägt eine mit Bandaufnähern verzierte Burka, die sie auch beim Sex nicht auszieht. Sie ist trotz dessen überzeugte Feministin und konfrontiert ihre männlichen Mitbewohner gerne mit unangenehmen Passagen aus dem Koran und leitet, anders als im Islam üblich, auch als Iman die Gebetszeremonien der WG. Rabeya scherzt zudem darüber, dass sie die einfachste Lösung gefunden hätte um Umar zu vertreiben, da sie eine Vagina besäße und das schon ausreiche.


Yusuf sieht in Umar den einzig richtigen Muslim in der verkorksten Gang, da er die Sunna penibel ausübt und sich an alle Vorschriften des Islams hält. Er ist zudem Straight – Edge und hat sich diese Überzeugung in Form von einem charakteristischen, schwarzen >X< auf beide Handrücken tätowieren lassen, die neben einigen anderen, religiösen Motiven seinen Körper zieren. Eben diese Tattoos machen es ihm jedoch unmöglich, je wieder eine normale Moschee zu betreten, da auch Tattoos haram sind. Umar gerät oft in Streitigkeiten mit Jehangir, da sie aufeinander wirken wie Feuer und Eis.

ich liebe Yusufs Kurzbeschreibung einfach nur :D

Yusuf selbst bezeichnet sich selbst als einen unscheinbaren Mitläufer, der die Kamera hält, wenn Jehangir ein unnachahmlicher Skateboardstunt gelingt, selbst aber noch nie auf den rollenden Brettern stand. Er trägt keine Punkklamotten sondern ganz einfach Klamotten, von denen er nicht einmal die Marke weiß, da er sie einfach so im Einkaufszentrum gekauft hat. Yusuf öffnet sich vorurteilsfrei seiner neuen Clique, kann aber oftmals nicht mitreden. Von Jehangir erhält er viele Informationen über Bands und das allgemeine Lebensgefühl des Taqwacore, ohne dabei diesen als seine Auffassung des Islams aufzunehmen. Anfänglich ist er sehr unerfahren und strauchelt, wenn Rabeya ihn nach seiner Masturbation befragt. Später aber wichst er sogar in einem von ihren Burkas, die sie ihm geschenkt hat, nachdem er sie gefragt hatte, wie sich das so anfühlt. Auch wenn er sich selbst nicht als wichtig für die WG erachtet, wirkt er doch wie das Bindeglied zwischen den verschiedenen, verkappten Individuen, da er eben offen und tolerant auf alle von ihnen und ihre Meinungen eingeht und versucht, sie zu verstehen.


Die Story dreht sich nun um eben diese WG in Buffalo und einige andere Gestalten, die sozusagen den Islam 2.0 bilden und sich selbst darin entdecken wollen. Sie brechen mit alten Traditionen, betrinken sich nach dem Fastengebet und erweichen doch, wenn sie gemeinsam ihr Gebet mit einem wohlig klingenden >AMEN< beschließen. Sie hören in Songs von Iggy Pop und Sid Vicious Lobpreisungen an Allah heraus und zitieren aus dem Koran, sobald ein interreligiöse Problem diskutiert wird. 
Auch wenn Punk und Islam zunächst als ein trennendes Mittel erscheint, stellen die beiden Begriffe keinen Widerspruch zueinander da. Im Gegenteil: der Punk eröffnet für sie neue Weltanschauungen, der Islam lässt sie dabei aber nicht im Sumpf der Verwahrlosung ertrinken und bietet ihnen feste Regeln, die es zu brechen gilt um seine eigenen Version von Religion zu finden. Sexualität, ausschweifende Partys und Drogenkonsum spielen in ihren Leben ebenso eine Rolle wie Gebete und traditionelle Kleidung und Wertvorstellungen. Taqwacore eben!


Es ist manchmal berührend, manchmal auch schockierend, aber immer faszinierend und brutal ehrlich, wie diese jungen Menschen ihre Art vom Islam suchen, finden und ausleben und öffnen so eine neue Sicht auf jede Art von Religionsauslebung, für welche Religion man sich auch immer entscheiden sollte. Es steht doch jedem frei, was er für sich einsaugt und verinnerlicht und was er, wie Rabeya, aus dem heiligen Schrift mit schwarzem Marker entfernt, weil es ihm einfach nicht passt. Yusuf selbst verdeutlicht, dass der Islam ein offnes Symbol ist, dass keine Dinge repräsentiere, sondern Ideen und diese Einstellung lässt sich auf jede xbeliebige Religion projezieren, ohne das die Aussage an Wert verliert.
Es ist bewegend, wie toleranter und fromm diese Punks doch ihm Kontrast doch zu ihren normalen Glaubensbrüdern sind und wie weltoffen und abgeklärt sie ihren Islam bewerten. 

Dieses Buch hilft ungemein, den Islam und seine Traditionen besser zu verstehen und sich davon ein Bild zu machen, dabei aber auch seine eigenen Identität zu hinterfragen und wie man selbst diese und andere Religionen abgestempelt hat. Hilfreich dabei ist auch das Glossar, am Ende des Buches, dass arabische Wörter und religiöse Begriffe vollkommen wertfrei erklärt.
Ich werde deswegen nicht zum Islam konvertieren, aber > Taqwacore< befasst sich neben dem Islam eben auch mit der Jugendkultur und mit der Banalität des Lebens überhaupt.
Der Leitspruch >Jeder Tag ist Aschura, jeder Ort ist Kerbela< ist ein Sprichwort der Shiiten und kann als andere, vielleicht sogar coolere Form von YOLO interpretiert werden, da Aschura einer der wichtigsten Feiertage der Shiiten ist und an Feiertagen, wie der Name schon andeutet, immer gefeiert wird. Feiern wir also unsere Göttern, unsere Traditionen aber auch unsere Revolten und das an jedem Tag, an jedem Ort.
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2010 wurde >Taqwacore< übrigens verfilmt, und auf Grundlage des Werkes eine von Knight geführte Dokumentation zum Thema Islam in der Neuzeit gedreht, nachdem das Buch wieder von der jahrelangen Zensur freigegen wurde. 
Zuvor wurde das Werk von Micheal Muhammad Knight zensiert, boykottiert und konfisziert. Das Buch gab es nur als Kopie unterm Ladentisch und entwickelte sich doch zu einem Untergrundhit der Szene, bis man nicht mehr anders konnte und das Buch wieder offiziell druckte. Heute ist es ein beliebtes Lehrmittel an den amerikanischen Universitäten und das sollte auch so bleiben, da es für mich eines der wohl verschreckensten, wie wichtigsten Aufklärungsstücke unserer heutigen Zeit darstellt, so komisch das jetzt auch klingen mag. Es ist genial aber absolut haram.


liebst
Elli 

4 Kommentare:

  1. Das war's also, das mysteriöse Buch. Sowas in der Art dachte ich mir sogar, als ich irgendwas von Fatima und gewissen Fragen gelesen habe, die ich so in meinem Alter nicht weiter erläutern möchte. Wie furchtbar! :o
    Nein, ich finde das irgendwie interessant. Ich mag es, wenn man über Bücher so viel erfährt, ob es nun über die ärmsten der Armen im 19. Jahrhundert geht oder um Religion. Und ich mag es, dass es nicht so im Sekten-Buch-Stil geschrieben ist (armes kleines Kind bei den Zeugen, das gehauen wird und einfach nicht entfliehen kann, jaja, kenne wir schon). Ich weiß zwar nicht, ob ich es kaufen würde, ich hänge sehr an meinen lieblichen Märchenbüchern, aber irgendwann... sowas sollte man wohl mal gelesen haben.

    Alles Liebe,
    Mara

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    1. Es war auf jeden Fall nicht unnütz. Man bekommt auch mal einen ganz anderen Blick auf den Islam, weil man ja nur noch von Pegida, Terroranschlägen und IS hört, dass man wirklich langsam zweifelt, wie lange wir noch zu leben haben. Die meisten Muslime sind nämlich ganz normale Familienväter - und mütter, die sich auch abends nach dem 8-Stunden-Job überlegen, was sie ihren verfressenden Bälgern zwischen die Kiemen stopfen und keine verschleierten Massenmörder mit selbstauslösendem Sprengsatz im Schritt. Oder sie sind halt saufende, kiffende, frauenverschlingende Punks...
      Ich hatte zuerst auch ein wenig Angst, dass es halt auch so verherrlichend und scheinheilig ist, war es aber überhaupt nicht. Es war einfach nur geil - in vielerlei Hinsicht. Ich bin froh, dass ich dieses Buch anhand dieses äußerst komischen Zitats gefunden habe, obwohl man sich wirklich fragen muss, wieso ich auf >Sperma im Haar< anspringe...jaaa...keine Ahnung :D

      liebst
      Elli

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  2. Okey, nach langem Überlegen, bin ich zu dem Entschluss gekommen, dass Buch doch zu lesen! Also ich mag den Trailer zum Film extrem und auch die Figuren finde ich echt interessant und da denke ich, dass es ganz gut sein könnte. Am meisten möchte ich etwas über Jehangir erfahren. Ich finde ihn echt hübsch und denke, er könnte interessant sein. Ich muss es mir einfach mal bei dir ausleihen :p

    xoxo Sophie ♥

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    1. Und ich denke, du könntest echt interessant sein, mein kleiner Engel :D
      Hey kein Problem, dann leihe ich dir meinen Schatz mal aus.
      Jehangir ist einfach nur geil, aber das Ende ist echt nicht schön. Also ich hab geweint....
      Mehr verrate ich aber nicht :D

      liebst
      Elli

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