Freitag, 27. Januar 2017

Die stillen Globalisierer

Es gibt Berufe, die nie wirklich die Anerkennung erhalten die ihnen zusteht. In unsere Glitzerwelt passen einfach keine Altenpflegerinnen, Putzkräfte und Kanalreiniger, obwohl sie und viele andere es doch sind, die unsere Gesellschaft erst die Grundlage für Luxus und Dekadenz schaffen und bewahren. Da sie aber mit ihrer Tätigkeit wenig Glamour versprühen werden sie wenig beachtet, wenn nicht sogar mit einem unschönen Stigma behaftet, was nicht nur falsch sondern auch dumm ist.

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Wir sollen die Leute im Schatten mehr ehren und genau das werde ich mit einer Berufsgruppe tun, die für unsere Kommunikation in Zeiten der Globalisierung unerlässlich geworden ist und doch nie mit den Lorbeeren gekrönt wird, auch wenn sie es allemal verdient hätte. Ich rede von all den Übersetzer/innen weltweit, ohne die Literatur und Kommunikation nicht ansatzweise das wäre, was es ist.

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Über die Jahre habe ich bereits zweimal meine Liebe ( >hier< und >hier<) für Übersetzer schriftlich ausgedrückt, aber tief in meinem Herzen wusste ich wohl, dass das einfach nicht ausreichen würde. Bevor ich auch so richtig mit dem Schwärmen anfange, möchte ich noch sagen, dass mir natürlich bewusst ist, dass Übersetzer nicht gerade zu den unterschätzen aber wahrscheinlich zu den weitestgehend unbekannten Berufsgruppen gehören. Wenn ich sie also huldige bedeutet das nicht, dass das ich andere Berufe weniger schätze. Nun aber zurück zum eigentlichen Thema.
Ich möchte und kann mir ehrlich gesagt einfach nicht vorstellen, wo wir heute stehen würde, wenn es nicht die vielen Menschen geben würde, deren Beruf es ist, Schriftstücke von einer Sprache in eine andere zu übersetzen. All die Romane, die wir nie lesen würden. All die Filme und Fernsehsendungen die wir nie sehen und wirklich verstehen würden. Einfach all das Wissen, das wir nie erlangen würden!
Wie schrecklich und langweilig wäre wohl diese Welt?! Und wie klein.

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Zugegeben, es gibt auch schwarze Schafe in dieser Berufsgruppe. ( Ja ich rede unter Anderem von der Person, die in der ersten Ausgabe von >Harry Potter und der Stein der Weisen< Lavender Brown in einen Jungen und Blaise Zabini in ein Mädchen verwandelt hat....) Aber zum Einen gibt es die wohl überall und zum Anderen ist es nicht immer ihre Schuld und Fehler passieren einfach. Wenn man nämlich das in Vergleich zu den Errungenschaften setzt, die uns diese Sprachkünstler seit Jahrhunderten schenken, dann schrumpfen diese Fehler plötzlich ins Mikroskopische.
Worauf ich eigentlich schlussendlich mit diesem Artikel hinaus möchte: Liebt nicht nur den Autor eures Lieblingsbuches oder eures Lieblingsfilms – liebt auch den Übersetzer, der euch erst das Werk in eurer Sprache zugänglich gemacht hat. Er oder Sie verdient es!

liebst
Ellie♥

Sonntag, 22. Januar 2017

Ich zerstöre also bin ich

Als ich klein war ich der festen Überzeugung, alle Menschen wären in ihrem tiefsten Inneren gut. Die einzigen Bösewichte die ich kannte waren Charaktere aus dem Kinderfernsehen, die eigentlich auch nur nach Liebe und Ansehen strebten und entweder zum Ende des Films ihre moralischen Fehler einsahen und Besserung gelobten oder ihre gerechte Strafe erhielten, dabei aber immer eine zweite Chance erhielten. Umso älter man jedoch wird, desto deutlicher wird, was für ein Trugbild man unterlegen war. 

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Einerseits ist das Böse nicht immer ersichtlich (auch wenn uns kunterbunte Kinderwelten uns das weismachen wollen, indem sie den Bösewicht immer hässlich erscheinen lassen und er/sie scheinbar nur dunkle, sumpfige Farben tragen darf, während alle Anderen einem Bonbonglas entstiegen sind), andererseits gibt es auch Herzen deren Kern nicht aus flüssigem Karamell besteht. Die Welt ist nicht schwarz und weiß, sondern grau. Woher aber kommt nun das Dunkle in uns? Wird man böse geboren oder so erzogen? Lionel Shriver nähert sich dieser Frage vorsichtig mit > Wir müssen über Kevin reden < an.


Am 18. Mai 1957 erblickte Margaret Ann Shriver in Gastonia ( North Carolina) das Licht der Welt. Anders als ihren Eltern gefiel ihr ihr weiblicher Vorname überhaupt nicht, da er nicht zu ihrem wilden Charakter passen würde und änderte ihn deshalb mit 15 offiziell in Lionel, einen eigentlich männlichen Namen. Nach ihrem Schulabschluss machte sie an der Columbia University ihren Bachelor of Arts und anschließend ihren Master of Fine Arts.
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 > Wir müssen über Kevin reden <, erschienen 2003, ist ihr achter Roman und verschaffte ihr den verdienten Durchbruch, nachdem ihren sieben vorherigen Romane eher wenig bis keine Anerkennung erhielten. 2005 erhielt Lionel für ihr Werk den Orange Prize for Fiction und entfachte mit dessen Inhalt einige Kontroversen. Privat lebt sie mit ihrem Mann, dem Jazz-Schlagzeuger Jeff Williams in London. 


Eva Khatchadourian lebt mit ihrem Mann Franklin Plaskett ein Leben lebt, von dem viele nur träumen. Sie ist eine erfolgreiche Reisejournalistin, publiziert Reiseführer mit Tipps für den kleinen Geldbeutel, während er für große Firmen durch die Vereinigten Staaten fährt um geeignete Locations für deren Werbeannoncen zu finden. Beide sind Mitte dreißig, wohlhabend, kinderlos und dementsprechend ungezwungen und frei von Existenzängsten. Eigentlich geht es ihnen gut, aber irgendwas fehlt Eva. Fremde Länder und das ständige Reisen haben mittlerweile für sie an Reiz verloren und zuzusehen wie alle alten Freunde sich nun rührend um ihre Kinder kümmern anstatt nachts noch um die Häuser zu ziehen macht es nicht gerade besser. 
Als sie Franklin vorschlägt, dass auch sie ein Kind haben könnten, ist dieser sofort Feuer und Flamme. Zwar plagen Eva auch einige Zweifel und richtige Muttergefühle kann sie während der Schwangerschaft nicht aufbauen, aber Franklin dabei zu erleben, wie dieser in seiner neuen Rolle als Vater aufblüht, zwingt sie, ihm nichts von ihren Ängsten und Unwohlsein zu erzählen. Das sie einmal ihren Sohn im Gefängnis besuchen wird kann sie nicht wissen.



Es kristallisiert sich für Eva schnell heraus, dass ihr Sohn anders ist. Er ist körperlich und geistig kerngesund aber dennoch fühlt sie, dass etwas mit Kevin nicht stimmt. Als Baby schreit er sich die Seele aus dem Leib, als Kleinkind spricht er dafür kein Wort. Später erfindet er eine eigene Sprache, die er mit äußerster Vorliebe benutzt, um seine Mutter nachzuäffen. Seiner Mutter gegenüber gibt er sich äußert unterkühlt, während er seinem Vater gegenüber eine übertrieben fröhliche Miene aufsetzt, hinter die nur Eva blickt. Kevin hat keine Vorlieben, weder Ängste noch Ambitionen. 
Als Eva seine Wasserspritzpistole in einem Wutanfall zerstört, nachdem er zuvor ihr Arbeitszimmer ruiniert hat, sind seine Augen nicht von Trauer oder Ärger sondern von Erleichterung erfüllt. Kevin lernt heimlich und isst nicht in Anwesenheit seiner Eltern. Alles das tut er um eine Fassade aufrecht zu erhalten, die man nicht attackieren kann, einfach weil es keine Angriffspunkte gibt, die auf eine Persönlichkeit zurück zu führen wären. Und wieder beunruhigt dieser Mangel an Neugierde und Interesse nur Eva während ihr Mann seinem Sohn einfach neue Spielzeuge kauft oder neue Sportarten mit ihm ausprobiert. Irgendwas wird man ja wohl finden.




Die einzige Zeit in der sich Kevin “gehen lässt“ und sein Mauerwerk bröckelt erlebt Eva, als ihr Sohn für zwei Wochen ernsthaft krank ist. Er scheint zu schwach um zynisch und kalt seiner Mutter gegenüber zu treten sondern genießt es richtig, von ihr umsorgt und gepflegt zu werden. Auch Eva blüht in dieser Zeit auf, da sie denkt, nun endlich den entschiedenen Draht zu ihrem Kind gefunden zu haben. Sie beschließt eine bessere, liebevollere Mutter zu werden, da all ihre Bemühungen nun endlich auf fruchtbaren Boden zu fallen scheinen. 
Er verrät ihr, was er gerne isst und welchen Pyjama er gerne trägt und als Eva ihm abends im Bett aus Robin Hood vorliest, kuschelt er sich an sie. Entsprechend ernüchtert muss Eva feststellen, dass von dieser Wärme nichts übrig geblieben ist, als Kevin schließlich wieder genesen ist. Er reagiert sogar noch gereizter auf ihre Annäherungsversuche, da er ihr in einem schwachen Moment zu viel von sich Preis gegeben hat. Das einzige was aus dieser Zeit hängen bleibt ist Kevins Vorliebe für das Buch Robin Hood, in dem er seine einzige erkennbare Leidenschaft entdeckt – das Bogenschießen.


Die Jahre vergehen. Kevins Bögen und seine emotionslose Maskerade wachsen mit ihm, nicht aber irgendwelche Gefühle für seine Eltern oder seine jüngere Schwester Celia. Aus purer Verzweiflung, dass es an ihr liegen könnte, beschließt Eva nämlich, dass sie noch ein Kind haben möchte. Franklin ist davon wenig überzeugt, spricht sich aber gegen eine Abtreibung aus, als Eva doch schwanger wird. Die kleine Celia ist ganz anders als ihr Bruder. 
Genauer gesagt ist sie das komplette Gegenteil. Sie zeigt offen ihre Ängste, von denen sie so viele hat, aber auch ihre Liebe, von der sie viel zu geben hat. Sie sieht immer das Gute in den Menschen, sogar in ihrem großen Bruder, der ihr nur Hass und Missgunst entgegen bringt. In ihrer Tochter findet Eva das Kind, das sie sich immer gewünscht hat, während Franklin nie wirklich einen Draht zu seiner Tochter aufbaut. Er hat in seinem Sohn seinen Verbündeten gefunden, da dieser nicht so sensibel und ängstlich ist wie Celia.

Woher diese Ängste stammen kann Eva nicht genau ergründen, nur das Kevin nicht ganz unschuldig daran ist. Als Celias Weihnachtsgeschenk, eine Kurzohrige Elefantenspitzmaus verschwindet und tags drauf im Badezimmer der Kinder der Abfluss verstopft ist, ahnt Eva wer dahinter steckt, stößt damit aber bei ihrem Ehemann nur auf taube Ohren. Die Situation entartet, als Eva am nächsten Tag zu ihrer Tochter ins Krankenhaus fahren muss. Das Mädchen hatte Rohrreiniger ins Auge bekommen, wobei unklar ist, wie sie überhaupt an die Flasche gekommen ist. Als Eva Kevin dieser Tat verdächtigt, reißt Franklin der Geduldsfaden. Er will die Scheidung und beide Kinder zu sich nehmen.



Am Abend des 8. Aprils 1999, nur ein paar Tage vor Kevins 16. Geburtstag, erhält Eva einen Anruf, der ihr Leben vollends verändern wird. An Kevins Highschool wurde ein Amoklauf mit bislang 10 Opfern verübt. Unwissend, dass ihr eigener Sohn der Amokläufer ist, rast Eva zur Schule um dort die Türen der Sporthalle mit den gleichen gelben Fahrradschlössern verschlossen zu sehen, die Kevin sich Tage zuvor im Internet bestellt hatte. 
Seine Opfer sind handverlesen und nur deswegen zur lebendigen Zielscheibe für seine neue Armbrust geworden, weil sie etwas liebten. Unter ihnen finden sich ein begeisterter Sportler, eine ambitionierte Aktivistin, das schönste Mädchen der Schule und Kevins Englischlehrerin, die unbedingt einen Draht zu ihrem schwierigsten, aber somit auch liebsten Schüler aufbauen wollte. 
Das man sich für etwas wirklich begeistern kann verachtet Kevin, weil er es nicht versteht. Er selbst liebt nichts und niemanden. Das Bogenschießen ist für ihn nur Mittel zum Zweck. Als er von Polizisten unter den Augen seiner entsetzten Augen seiner Mutter und dem aufgebrachten Geschrei seiner Mitschüler abgeführt wird, ist er keineswegs verschüchtert oder sich der Konsequenzen nicht bewusst. Er hat alles bis ins kleinste Detail geplant und trägt die Verantwortung für seine grausame Tat wie eine Medaille.
Geschockt und gebrochen fährt Eva an diesem Abend nach Hause und hofft, wenigstens im Schoße ihrer Familie halt zu finden. Als sie das Haus stockdunkel und verlassen vorfindet, wächst ihre Panik. An Kevins Schießstand findet sie schließlich Celia und Franklin – beide von Pfeilen durchbohrt und von Kevin für seine Mutter in Szene gesetzt.





Evas Welt ist in sich zusammengebrochen. Verhandlungen vor Gericht und der Hass der Bevölkerung, die sie für die Tat ihres Sohnes mitverantwortlich macht, treiben sie in den finanziellen und seelischen Ruin. Das Einzige, was ihr geblieben ist, ist ein brüchiges Häuschen, ein trister Job in einem kleinen Reisebüro bei dem ihre Kollegen sie bewusst meiden und ihr Sohn, der sie bei den regelmäßigen Besuchen mit Abscheu empfängt. Die erste Zeit redet sie gar nicht mit ihm, obwohl er der Einzige ist, der überhaupt noch mit ihr redet. Später tastet sie sich über flachen Smalltalk an ihn heran, dem Kevin zynisch abblockt.



Das einzige Gesprächsthema für das Kevin ein grenzwertiges Interesse zeigt sind Amokläufe. Er kennt alle Mörder, Waffen und Fehler, die sie seiner Meinung nach begangen haben. Eva lässt sich auf diese Schiene widerwillig ein. An seinem “Jahrestag“, wenige Tage vor seinem 18. Geburtstag bringt sie schließlich den Mut auf, ihren Sohn zu fragen, was ihn überhaupt zu dieser Tat verleitet hat. Als er antwortet, dass er das jetzt nicht mehr so genau sagen könnte, flammt in Eva plötzlich etwas auf, das sie all diese Jahre zuvor nicht für ihren Sohn empfunden hat. Sie muss sich selbst eingestehen, dass sie ihren Sohn liebt. Sie weiß nicht, was für ein Mensch Kevin sein wird, wenn er aus dem Gefängnis entlassen wird, aber sie hat sich vorbereitet und ein Zimmer für ihn in ihrem Häuschen eingerichtet. Im Regal liegt bereits die alte Ausgabe von Robin Hood.


Der Roman > Wir müssen über Kevin reden < (2003) und dessen Verfilmung mit Tilda Swinton und Ezra Miller (2011) Zündstoff für Diskussionen. Lionel Shriver berichtet von allen Geschehnissen aus Evas Sicht, die in Briefen an ihren verstorbenen Ehemann ihr Herz ausschüttet und ihm Geheimnisse offenbart, welche früh als Anzeichen für die Tragödie gewertet werden können. Sie bleibt allein und verachtet vor einem Scherbenhaufen zurück, der einmal ihr Leben war. Obwohl Shriver schonungslos über Gefühlskälte zwischen Mutter und Kind, detaillierten Amokläufen und dem Heranwachsen eines Psychopathen schreibt, spürt man immer auch ein Spur Hoffnung und Wärme – sogar für Kevin. Sie weist niemandem die Schuld für Kevins desaströses Verhalten zu, unterscheidet nicht generell in Gut und Böse. So öffnet sich Kevin zum Schluss emotional gegenüber seiner Mutter und bittet sie sogar, Celias Glasauge, dass sie seit dem Unfall tragen musste, in einem kleinen Sarg, den er extra dafür angefertigt hat, zu begraben, ohne das die Aktion dabei von ihm als weiterer Tritt gegen seine am Boden liegende Mutter angedacht ist.

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Shriver gibt auch nicht die ultimative Lösung, wenn man herausfinden möchte, wie das Böse entsteht und ob man es irgendwie stoppen kann. Eva bekennt sich zwar dazu, dass sie bei Kevins Erziehung einige Fehler begannen hat, andererseits zwingt sie sich immer wieder ihm eine bessere Mutter zu sein und Celia wächst unter ihrer Obhut nicht zu einem kaltblütigen Monster heran. Wenn das Böse also nicht anerzogen wird, muss man wohl böse geboren werden, da jeder Fluss einer Quelle entspringen muss. Physisch wie psychisch lassen sich dafür bei Kevin im Kindesalter dafür aber keine Anzeichen finden. Die Gene eines Menschen dafür verantwortlich zu machen wäre schlussendlich auch auf medizinischer wie moralischer Ebene äußerst fragwürdig. 
Wer also einen Ratgeber zur “richtigen“ Kindererziehung in > Wir müssen über Kevin reden < erwartet wird wahrscheinlich recht schnell enttäuscht werden. Wer sich aber nicht vor dem Abstieg in den seelischen Abgrund eines düsteren Herzens und der Chronologie einer Katastrophe fürchtet, bei dem werden sowohl Buch als auch Film in guten Händen liegen.



liebst
Ellie