Sonntag, 20. März 2016

Wieso finnische Männer stricken

Hallihallo,

Im letzten August habe ich die schönen Illustrationen der Künstlerin Ella Frances Sanders zufällig gefunden, die sich allesamt mit ungewöhnlichen, unübersetzbaren Wörtern aus aller Welt beschäftigen.
Seither hat mich dieses Thema nie ganz losgelassen und wie ein weiterer Zufall es wollte, habe ich doch glatt in einer kleinen Ramschecke eines Discounters ein Buch gefunden, dass die Lust auf neue Wörter stillen konnte. Noch jetzt beim Schreiben frage ich mich, wieso solche Bücher weniger gewürdigt werden als andere. Nur solche, augenzwinkernden Sammlungen zeigen uns doch, wie groß und kurios unsere Welt ist. Wahrscheinlich stehe ich mit dieser Einschätzung sehr allein im Raum aber > Was heißt hier Tingo : und andere verrückte Wörter aus aller Welt< ( Hui langer Titel) von Adam Jacot de Boinod ist mehr als nur ein preisgesenktes Mängelexemplar.


Kostenpunkt: ca. 10 € bei Amazon oder als PDF- Leseprobe
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Adam Jacot de Boinod, Jahrgang 1960, entdeckte durch ein altes albanisches Wörterbuch, das er als Mitarbeiter der britischen Quizsendung IQ nach schwierigen durchforstete, in dem er auf genau 27 verschiedene Bezeichnungen für Schnurrbärte und ebenso viele für Augenbrauen entdeckte. 
Danach hatte er Blut geleckt. Für sein erstes Werk > Was heißt hier Tingo: und andere verrückte Wörter aus aller Welt<, veröffentlicht 2005 wühlte er sich durch 280 Wörterbücher und 140 Webseiten. Danach folgten zwei weitere Bücher dieser Art, wobei sich 
> Toujour Tingo < ( 2007) weiterhin mit fremdländischen Wörtern unübersetzbarer Natur, > The Wonder of Whiffling < (2009) sich mit ungewöhnlichen Wörtern der englischen Sprache befasst.
source & source 

Über Marija Tiurina findet man im riesigen Internet leider nur, dass sie Britin und vom Beruf her Illustratorin ist. Und einen wirklichen hübschen Namen ihr eigen nennt. 
Ihre Serie > Untranslatable Words < ist unheimlich liebevoll und lustig gestaltet. Schon weil sie alle noch oldschool mit Tusche aufs Papier gebracht wurden, muss man sie einfach lieben.


> Was heißt hier Tingo: und andere verrückte Wörter aus aller Welt < sammelt Wörter aus allen Bereichen des Lebens und, wie schon im Titel angemerkt ,allen Ecken und Winkeln unseres Globus.
Angefangen bei einer normalen Begrüßung, die in Sri Lanka sehr leicht ausfällt, da das Wort ayubowan alle Tages-und Nachtzeiten beinhaltet, bis zu Wörtern, bei dem wohl jedes Rechtschreibprogramm ( so auch meins) ausrastet wie aaa aus dem Hawaiianischen, dem Wort für einen Lavastrom, oder aare aus Estland, das die Oberkante eines Zauns rund um einen Garten beschreibt.



Abgeschmeckt wird das Ganze mit sogenannten „ Nachgedanken“ bei denen der Autor auf allerhand anderer Eigenarten unserer plappernden Welt eingeht. So ist Finnland Herr der Palindrome, also Sätze wie Wörter, die vorwärts wie rückwärts gleich gelesen werden. So ist ein saippuakivikauppias ein Specksteinverkäufer und solutomaattimittaamotulos das Ergebnis eines Messlabors für Tomaten. Wer die Finnen jetzt schon für eines der geilsten Völker der Welt hält der wird vom nun vollgegenden Satz begeistert sein. Neulo taas niin saat oluen bedeutet: erneut stricken, damit man Bier bekommt.
Gott, ich liebe die Finnen! ♥



Ein weiterer Nachgedanke thematisierte die Vermischung verschiedener Muttersprachen, die den Drang, sich untereinander zu verständigen, zu lösen zu versuchen. Bestes Beispiel dafür ist das Pidgin – English, das unteranderem in Papua Neuguinea gesprochen wird. Letztes Jahr habe ich diese Sprache bereits im Roman > Pigeon English<von Stephen Kelman gefunden, hier vorgestellt und lieben gelernt.
Pidgin-English ist eine herrliche Sprache. Eigentlich kurze Wörter werden lang und zunächst augenscheinlich kompliziert umschrieben, ergeben beim genaueren hinsehen aber recht eigenwillig und irgendwie niedlich Sinn.
Liklik box you pull him he cry you push him he cry ist ein ziemlich umständliches Wort für Ziehharmonika, ist aber in sofern höchst logisch, da es genau das beschreibt, was dieses Instrument ausmacht. Auch auf dem Inselstaat Vanatu mitten im Pazifik wird eine Form von Pidgin-English gesprochen. Als ehemalige Kolonie Groß Britanniens hat Vanatu noch immer Verbindungen zum Königreich und wenn Prince Charles die Insel besucht, so wird er mit Pikinini b'long Kween angesprochen, was soviel wie Kind neben der Königin bedeutet. 




Während des Lesens gab es eine Sprache, auf die ich mich immer besonders gefreut – Jiddisch. Diese Sprache ist wirklich der Inbegriff von Witz und rauem Charme. Insbesondere auf Schimpfwörter und Beleidigungen wird hier sehr großen Wert gelegt.
Zolst faliren aleh tseyner achitz eynm, un dos zol dir vey ton ist in meinen Augen die wohl schönste und gleichzeitig schlimmste Verwünschung, die man sich vorstellen kann. Wenn man das um die Ohren gehauen bekommt, weiß man, dass jetzt die Stoffwechselendprodukte so richtig am dampfen sind, schließlich bedeutet sie: Du sollst alle Zähne verlieren, bis auf einen, und der soll dir weh tun. Originell und schmerzhaft – so wie Beleidigungen sein sollen! Herrlich!



 Obwohl das Buch > Was heißt hier Tingo: und andere verrückte Wörter aus aller Welt < mit seinen 224 Seiten wirklich ein Fliegengewicht unter den Wörterbüchern ist, so beinhaltet es so viel mehr, als man bei einmaligen Lesen erfassen kann. Sprache ist etwas wirklich Wundervolles, wenn man sich nur darauf einlässt. Vielleicht hat man sich über die durchgängige Kleinschreibung der unübersetzbaren Wörter und Sätze gewundert. Im Buch waren sie klein geschrieben und da ich mir nicht anmaße, die Groß-und Kleinschreibung einzelner Sprachen zu beherrschen, habe ich es bei der Buchvariante belassen. 


Noch mehr wird es den Leser wohl unter den Fingern gekribbelt haben, endlich die Bedeutung des Wortes tingo zu erfahren. Das Wort kommt aus dem Rapa Nui, das auf den Osterinseln gesprochen wird und beschreibt eine Person, die sich alle möglichen Dinge von ihren Freunden ausleihen, bis deren Haus leer ist.
Da fragt man sich wer sowas macht? Schließlich gibt es ja für Wörter immer einen Auslöser. 
Ich kenne keinen tingo ebenso wenig wie einen koshatnik , wie im Russischen jemand bezeichnet wird, der mit geklauten Katzen handelt. Bei vielen Wörtern wüsste ich zu gerne den Ursprung, was mir wohl kaum vergönnt sein wird.
 > Was heißt hier Tingo: und andere verrückte Wörter aus aller Welt < von Adam Jacot de Boinod wird einen in dieser Hinsicht auch nicht sonderlich weiter bringen, schließlich ist es immer noch ein Buch und keine Zeitmaschine, aber es birgt doch kleine Kostbarkeiten, die irgendwem irgendwo schon einmal über die Lippen gehuscht sind.

liebst
Ellie ♥

2 Kommentare:

  1. Ach Gott, ist das niedlich, das mag ich immer noch. Irgendwo habe ich auch noch ein Bild auf meinem Handy vom letzten Post, Ikstuarpok oder so, wenn man immer aus den Fenster schaut, weil mal auf jemanden wartet. Und danke fürs Französisch Auffrischen, den appel du vide kenne ich sogar, zumindest das Gefühl, den Namen bisher noch nicht. Klingt irgendwie schön. Und generell sind diese Bilder so hübsch und ich liebe solche Worte! Gab's eigentlich auch deutsche? Ich frage mich, was Leute so an unserer Sprache interessant finden könnten.
    Okay, hab eh selbst gestöbert. Da war's ja, Schadenfreude, wir gemeinen Deutschen. Und jiddisch, Luftmensch, finde ich immer noch fabelhaft.

    Alles Liebe, auf dass du noch einige solcher famoser Bücher findest, die ich, wie Of Mice an Men, dann anderthalb Jahre später auch mal lese,
    deine Mara

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    1. Das Gefühl, dass appel du vide beschreibt, beschleicht mich immer wieder, wenn ich mich auch nur leicht über eine Fensterbank lehne. Zu gerne würde ich diesem Gefühl nachgehen, glücklicherweise rettet mich dann aber mein Verstand. Trotzdem kann man sich bei allen Franzosen und Französinnen nur für dieses Wort bedanken :3

      Ich bin immer auf der Suche, stöbere mich durch Buchhandlungen und überhaupt alle Orte, die auch nur den leisesten Duft von Papier und Tinte aufweisen und freue mich dementsprechend immer sehr, wenn jemand meine Funde auch für sich entdeckt ♥

      * hust * Es folgt eine kleine Werbung in eigener Sache für alle, die mehr über > Von Mäusen und Menschen < erfahren möchten * hust *:
      http://loveli-girl.blogspot.de/2014/10/erzahl-wies-sein-wird.html

      liebst
      Ellie

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