Hallihallo,
Büchereien
sind wohl der Ort, der alle Menschen irgendwie vereint. Jedes Genre
ist vertreten, jedes Thema liegt vor, jeder Autor bekommt einen Platz
im Regal. Mir macht es großen Spaß, einfach mal durch eine Bücherei
zu stöbern und dabei vielleicht einen kleinen Schatz zu finden –
mag einem jetzt traurig erscheinen, ist es aber meines Erachtens
nicht wirklich.
Vielleicht
ist es schon aufgefallen, vielleicht auch nicht, aber ich kaufe mir
gerne Bücher abseits der Spiegel-Bestsellerliste. Nicht, dass ich
diese Liste blöd finde, überhaupt nicht, aber ich lasse mich eher
vom Bauchgefühl und meinen Augen als von Verkaufszahlen und
Auszeichnungen leiten. Auf einem neuen Streifzug habe ich letztens
einen kleinen, verrohten Diamanten gefunden: >Pigeon English<
von Stephen Kelman.
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Bevor
ich zum Buch komme, stelle ich euch noch kurz den Autor vor. Geboren
wurde Stephen Kelman an irgendeinem Tag im Jahre 1976 in Luton, einem
damals heruntergekommenen Arbeiterviertel im Norden Londons, dass dem
Jungen die denkbar schlechtesten Bedingungen zum Großwerden bot.
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Anstatt
zu versumpfen, kämpfte Stephen für seinen Traum, ein Autor zu
werden, den er im Alter von sechs in Angriff genommen hatte, nachdem
Mark Twains >Die Abenteuer von Tom Sawyer< von ihm regelrecht
eingesogen wurde. Er studierte zunächst Marketing an der Universität
Bedfordshire, um sich anschließend als Lagerarbeiter, Altenpfleger
und Verwaltungsgehilfe durch zu schlagen. Auch ein Drehbuch schrieb
er, das jedoch keinen Anklang fand und in der Versenkung verschwand.
2000
dann die Wende. Ein schreckliches und doch so alltägliches Ereignis
inspiriert Kelman zu seinem ersten Roman, der glatt zum Bestseller in
Großbritannien avanciert, in 17 anderen Ländern publiziert wird
und insgesamt 10 Buchpreise erhält, dabei in Deutschland leider jedoch weitestgehend unbekannt bleibt. Der damals erstochene Damiolola Taylor gab ihm den entscheidenen Musenkuss für >Pigeon English<, einem Buch, dass bedrückend kalt die Missstände der britischen Migrationspolitik aufzeigt, dabei aber nie die Menschen aus den Augen verliert, die hinter dem Wort Migration stehen.
Er
probiert sich durch alle Haribo-Sorten, außer die Weingummi-Babys,
weil die seine Mutter, die als Hebamme tätig ist, traurig machen
könnte. Er liebt es, schnell durch sein Viertel zu rennen und malt
sich dafür die charakteristischen schwarzen Streifen auf seine
Turnschuhe, damit sie aussehen, wie Adidas-Treter. Er spricht mit
seiner Lieblingstaube und versucht sie anzulocken, um sie vor Krähen
und jüngeren Kindern zu schützen, die schließlich schon mit
Schraubenziehern alle Entenküken getötet haben. Auch wenn sich ihm
nur denkbar schlecht Voraussetzungen gegeben sind, schafft er es
doch, seine kleine Welt zusammen zu halten, wenn er sich vornimmt,
immer abzuschließen und seine Familie zu beschützen, falls ein
böser Mensch kommen sollte.
Als
plötzlich auf offener Straße ein Junge erstochen wird, was
ansonsten keinen weiter zu interessieren scheint und er die trauernde
Mutter sieht, die sich schützend vor das Blut ihres Sohnes kniet,
beschließt Harri selbst Nachforschungen aufzustellen, um den toten
Jungen würdig zu verabschieden.
Unterstützt
wird er dabei von seinem Freund Dean, der alle Krimiserien aus dem
Fernsehen kennt und so mit Fachwissen punkten kann. Sie gehen alle
Hinweisen nach, nutzen ausgeklügelte Verhörmethoden und ziehen
Schlüsse, die nur echte Detektive ziehen können. Als sie „aus
Spaß“ den Elftklässler und Kleinkriminellen Killa in den Kreis
der Verdächtigen mit aufnehmen, ist ihnen nicht bewusst, wie
gefährlich ihr kleines Spiel doch ist. Überhaupt nimmt Harri mit
ganz anderen Augen wahr, als würde seine Kindheit die grausame
Realität hinter einem bunten Tuch verschleiern, um den Jungen vor
der Gewalt und Brutalität zu schätzen, die in seiner Gegend auf der
Tagesordnung stehen.
So
erkennt er auch nicht, dass der Mann seiner Tante Sonia, die sich aus
Angst vor einer Ausweisung die Fingerkuppen am Herd anbrennt, ein
Menschenhändler ist und versteht auch nicht, wieso Leute die Kirche
einer anderen Religion beschädigen. Denn auch wenn Harri am
laufenden Band Schimpfwörter und den Ausdruck „Ichschwör“
verwendet, wenn etwas unheimlich lustig ist, so versteht er doch
eigentlich nicht, was so alles in seiner kleinen Welt passiert.
Eigentlich ist er nämlich überfordert mit der neuen Situation und
wünscht sich nach Ghana zurück, wo sein Vater mit Harri's kleiner
Lieblingsschwester darauf wartet, endlich ausreisen zu können. Das
einzig Sicherere in seiner Umgebung ist für ihn seine
Lieblingstaube, da es Tauben überall auf der Welt gibt und seine
Liebe in diesem Fall sogar auf Gegenseitigkeit beruht.
Diese
vermeintlich normale Taube nimmt in > Pigeon English< nämlich
eine besondere Rolle in Harri's Leben und der Gesamthandlung ein. Sie
hat eine fast göttliche, höhergestellte Position inne und
kritisiert die Brutalität der Menschheit, ohne dabei ihre Rolle als
Harri's persönlicher, gefiederter Schutzengel zu missachten, der sie sich unglaublich liebevoll angenommen hat.
So
rettet sie ihn aus so mancher brenzligen Situation und gibt ihm mit
ihrer bloßen Anwesenheit ein Gefühl von Sicherheit. Einmal fragt
Harri sie, ob die Taube für Gott arbeiten würde, worauf sie ihm
keine Antwort gibt. Das ist im Endeffekt aber auch unwichtig, da sie
trotzdem in seinen letzten Minuten bei ihm bleibt, als Harri dasselbe
Schicksal erleidet wie Damiolola Taylor.
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Der
Titel > Pigeon English< ist im ürbigen ein Wortspiel mit dem
Begriff pidgin englisch, einer
Sprachform, die hauptsächlich von Migranten als Übergangssprache
genutzt wird, um sich untereinander mit anderen Migranten
unterschiedlicher Herkunft zu verständigen. Die Pidgin-Sprachen
rühren noch aus den Kolonialzeiten her und vereinen die
Herrschersprache (bsp. Englisch, Portugiesisch aber auch Deutsch) und
die Muttersprache der Kolonie. Die Herkunft des Wortes geht auf das
englische Wort business,
das in der Handelssprache der Chinesen als bigeon
ausgesprochen wurde, um dann auf dem Seeweg nach Großbritannien als
pigeon ( Taube) und
schlussendlich als pidgin
verstanden wurde.
Der
Titel > Pigeon English< bezieht sich also auf den Mischsprache
die in den Problemvierteln Londons von Migranten gesprochen wird,
sich dabei ständig verändert und somit den Wangel der Gesellschaft
und die Migrationspolitik thematisiert. Das pigeon
im Titel steht dabei tatsächlich für die Taube, die seit jeher als
Symbol für Migration, Toleranz und Frieden gilt.
liebst
Elli
♥
P.S:
Stephen Kelman hat in einem Interview einmal gesagt, dass er alle
Figuren in >Pigeon English< liebt, da sie alle einzigartige
Stimmen und Lebensgeister hätten, wodurch auch zu erklären ist,
weshalb er keinerlei Kritik gegenüber einer der Figuren ausübt,
sondern sie lediglich beobachtet.
Wieso
ich euch das jetzt noch erzähle? Nun es gibt da eine Person, die
Mara besonders liebt, obwohl sie keine Rolle für die Handlung spielt
sondern eigentlich nur nervt und diese Person ist Connor Green. Das
wollte ich nur noch niederschreiben, um vielleicht ein Lächeln auf
Maras Lippen zu zaubern.
Connor
Green for the win!
Mara grinst sogar. Connor Green ist scheiße, lang lebe Connor Green! (Und das klingt auf Englisch und Französisch einfach besser, aber mir fiel auf die Schnelle kein adäquater Begriff für "scheiße" als Adjektiv ein und auf französisch schon gar nicht. Connor Green est merde, vive Connor Green! Das ist grammatikalisch voll korrekt so, ichschwör!)
AntwortenLöschenAber ich finde es toll. Eigentlich sollte ich es wohl auch lesen und nicht nur toll finden, aber ich glaube, so viel Literatur in der Art kann ich kaum verkraften, ich muss immer noch über Boot Camp nachdenken und außerdem kenne ich jetzt ja schon das Ende - wieder so ein Buch, bei dem man eigentlich weiß, dass das das Leben ist (wooow... drei dasse, Frau Käppel würde mich hauen) und dass es deswegen eben nicht schön ausgeht. Leider. Man lernt ja nie.
Alles Liebe,
Mara