Donnerstag, 26. Februar 2015

Danke Taube, dass du mir den richtigen Stern gezeigt hast!

Hallihallo,

Büchereien sind wohl der Ort, der alle Menschen irgendwie vereint. Jedes Genre ist vertreten, jedes Thema liegt vor, jeder Autor bekommt einen Platz im Regal. Mir macht es großen Spaß, einfach mal durch eine Bücherei zu stöbern und dabei vielleicht einen kleinen Schatz zu finden – mag einem jetzt traurig erscheinen, ist es aber meines Erachtens nicht wirklich.
Vielleicht ist es schon aufgefallen, vielleicht auch nicht, aber ich kaufe mir gerne Bücher abseits der Spiegel-Bestsellerliste. Nicht, dass ich diese Liste blöd finde, überhaupt nicht, aber ich lasse mich eher vom Bauchgefühl und meinen Augen als von Verkaufszahlen und Auszeichnungen leiten. Auf einem neuen Streifzug habe ich letztens einen kleinen, verrohten Diamanten gefunden: >Pigeon English< von Stephen Kelman.

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Bevor ich zum Buch komme, stelle ich euch noch kurz den Autor vor. Geboren wurde Stephen Kelman an irgendeinem Tag im Jahre 1976 in Luton, einem damals heruntergekommenen Arbeiterviertel im Norden Londons, dass dem Jungen die denkbar schlechtesten Bedingungen zum Großwerden bot.
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Anstatt zu versumpfen, kämpfte Stephen für seinen Traum, ein Autor zu werden, den er im Alter von sechs in Angriff genommen hatte, nachdem Mark Twains >Die Abenteuer von Tom Sawyer< von ihm regelrecht eingesogen wurde. Er studierte zunächst Marketing an der Universität Bedfordshire, um sich anschließend als Lagerarbeiter, Altenpfleger und Verwaltungsgehilfe durch zu schlagen. Auch ein Drehbuch schrieb er, das jedoch keinen Anklang fand und in der Versenkung verschwand.
2000 dann die Wende. Ein schreckliches und doch so alltägliches Ereignis inspiriert Kelman zu seinem ersten Roman, der glatt zum Bestseller in Großbritannien avanciert, in 17 anderen Ländern publiziert wird


und insgesamt 10 Buchpreise erhält, dabei in Deutschland leider jedoch weitestgehend unbekannt bleibt. Der damals erstochene Damiolola Taylor gab ihm den entscheidenen Musenkuss für >Pigeon English<, einem Buch, dass bedrückend kalt die Missstände der britischen Migrationspolitik aufzeigt, dabei aber nie die Menschen aus den Augen verliert, die hinter dem Wort Migration stehen.



Harrison Opoku, im weiteren Verlauf nur Harri genannt, ist elf Jahre alt, lebt mit seiner Mutter und seiner älteren Schwester in einem Problemviertel von London und besitzt einen unglaublich rührenden Blick auf die Welt.
Er probiert sich durch alle Haribo-Sorten, außer die Weingummi-Babys, weil die seine Mutter, die als Hebamme tätig ist, traurig machen könnte. Er liebt es, schnell durch sein Viertel zu rennen und malt sich dafür die charakteristischen schwarzen Streifen auf seine Turnschuhe, damit sie aussehen, wie Adidas-Treter. Er spricht mit seiner Lieblingstaube und versucht sie anzulocken, um sie vor Krähen und jüngeren Kindern zu schützen, die schließlich schon mit Schraubenziehern alle Entenküken getötet haben. Auch wenn sich ihm nur denkbar schlecht Voraussetzungen gegeben sind, schafft er es doch, seine kleine Welt zusammen zu halten, wenn er sich vornimmt, immer abzuschließen und seine Familie zu beschützen, falls ein böser Mensch kommen sollte.


Als plötzlich auf offener Straße ein Junge erstochen wird, was ansonsten keinen weiter zu interessieren scheint und er die trauernde Mutter sieht, die sich schützend vor das Blut ihres Sohnes kniet, beschließt Harri selbst Nachforschungen aufzustellen, um den toten Jungen würdig zu verabschieden.
Unterstützt wird er dabei von seinem Freund Dean, der alle Krimiserien aus dem Fernsehen kennt und so mit Fachwissen punkten kann. Sie gehen alle Hinweisen nach, nutzen ausgeklügelte Verhörmethoden und ziehen Schlüsse, die nur echte Detektive ziehen können. Als sie „aus Spaß“ den Elftklässler und Kleinkriminellen Killa in den Kreis der Verdächtigen mit aufnehmen, ist ihnen nicht bewusst, wie gefährlich ihr kleines Spiel doch ist. Überhaupt nimmt Harri mit ganz anderen Augen wahr, als würde seine Kindheit die grausame Realität hinter einem bunten Tuch verschleiern, um den Jungen vor der Gewalt und Brutalität zu schätzen, die in seiner Gegend auf der Tagesordnung stehen.

So erkennt er auch nicht, dass der Mann seiner Tante Sonia, die sich aus Angst vor einer Ausweisung die Fingerkuppen am Herd anbrennt, ein Menschenhändler ist und versteht auch nicht, wieso Leute die Kirche einer anderen Religion beschädigen. Denn auch wenn Harri am laufenden Band Schimpfwörter und den Ausdruck „Ichschwör“ verwendet, wenn etwas unheimlich lustig ist, so versteht er doch eigentlich nicht, was so alles in seiner kleinen Welt passiert. Eigentlich ist er nämlich überfordert mit der neuen Situation und wünscht sich nach Ghana zurück, wo sein Vater mit Harri's kleiner Lieblingsschwester darauf wartet, endlich ausreisen zu können. Das einzig Sicherere in seiner Umgebung ist für ihn seine Lieblingstaube, da es Tauben überall auf der Welt gibt und seine Liebe in diesem Fall sogar auf Gegenseitigkeit beruht.


Diese vermeintlich normale Taube nimmt in > Pigeon English< nämlich eine besondere Rolle in Harri's Leben und der Gesamthandlung ein. Sie hat eine fast göttliche, höhergestellte Position inne und kritisiert die Brutalität der Menschheit, ohne dabei ihre Rolle als Harri's persönlicher, gefiederter Schutzengel zu missachten, der sie sich unglaublich liebevoll angenommen hat.
So rettet sie ihn aus so mancher brenzligen Situation und gibt ihm mit ihrer bloßen Anwesenheit ein Gefühl von Sicherheit. Einmal fragt Harri sie, ob die Taube für Gott arbeiten würde, worauf sie ihm keine Antwort gibt. Das ist im Endeffekt aber auch unwichtig, da sie trotzdem in seinen letzten Minuten bei ihm bleibt, als Harri dasselbe Schicksal erleidet wie Damiolola Taylor.

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Der Titel > Pigeon English< ist im ürbigen ein Wortspiel mit dem Begriff pidgin englisch, einer Sprachform, die hauptsächlich von Migranten als Übergangssprache genutzt wird, um sich untereinander mit anderen Migranten unterschiedlicher Herkunft zu verständigen. Die Pidgin-Sprachen rühren noch aus den Kolonialzeiten her und vereinen die Herrschersprache (bsp. Englisch, Portugiesisch aber auch Deutsch) und die Muttersprache der Kolonie. Die Herkunft des Wortes geht auf das englische Wort business, das in der Handelssprache der Chinesen als bigeon ausgesprochen wurde, um dann auf dem Seeweg nach Großbritannien als pigeon ( Taube) und schlussendlich als pidgin verstanden wurde.
Der Titel > Pigeon English< bezieht sich also auf den Mischsprache die in den Problemvierteln Londons von Migranten gesprochen wird, sich dabei ständig verändert und somit den Wangel der Gesellschaft und die Migrationspolitik thematisiert. Das pigeon im Titel steht dabei tatsächlich für die Taube, die seit jeher als Symbol für Migration, Toleranz und Frieden gilt.

liebst
Elli

P.S: Stephen Kelman hat in einem Interview einmal gesagt, dass er alle Figuren in >Pigeon English< liebt, da sie alle einzigartige Stimmen und Lebensgeister hätten, wodurch auch zu erklären ist, weshalb er keinerlei Kritik gegenüber einer der Figuren ausübt, sondern sie lediglich beobachtet.
Wieso ich euch das jetzt noch erzähle? Nun es gibt da eine Person, die Mara besonders liebt, obwohl sie keine Rolle für die Handlung spielt sondern eigentlich nur nervt und diese Person ist Connor Green. Das wollte ich nur noch niederschreiben, um vielleicht ein Lächeln auf Maras Lippen zu zaubern.

Connor Green for the win! 

1 Kommentar:

  1. Mara grinst sogar. Connor Green ist scheiße, lang lebe Connor Green! (Und das klingt auf Englisch und Französisch einfach besser, aber mir fiel auf die Schnelle kein adäquater Begriff für "scheiße" als Adjektiv ein und auf französisch schon gar nicht. Connor Green est merde, vive Connor Green! Das ist grammatikalisch voll korrekt so, ichschwör!)
    Aber ich finde es toll. Eigentlich sollte ich es wohl auch lesen und nicht nur toll finden, aber ich glaube, so viel Literatur in der Art kann ich kaum verkraften, ich muss immer noch über Boot Camp nachdenken und außerdem kenne ich jetzt ja schon das Ende - wieder so ein Buch, bei dem man eigentlich weiß, dass das das Leben ist (wooow... drei dasse, Frau Käppel würde mich hauen) und dass es deswegen eben nicht schön ausgeht. Leider. Man lernt ja nie.

    Alles Liebe,
    Mara

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